Der Situationsansatz unterstützt das Kind sich ein Bild von sich und der Welt zu machen und diese selbstbestimmt, kompetent und verantwortungsvoll mitzugestalten, ausgehend von den Lebenssituationen der Kinder und ihrer Familien.
DER SITUATIONSANSATZ IST EINE EINLADUNG SICH MIT DEN KINDERN AUF DAS LEBEN EINZULASSEN
Jürgen Zimmer
Ziel ist es, alle Kinder in ihrer Entwicklung zu begleiten und sie zu unterstützen, sich Erfahrungen und Kompetenzen anzueignen, damit sie für ihr gegenwärtiges und künftiges Leben gestärkt sind und autonom, solidarisch und sachkompetent handeln können. Voraussetzung ist eine offene und wertschätzende Haltung aller Beteiligten. Kinder erschließen sich aktiv die Welt. Das Lebensumfeld, die Lebenswelt des Kindes sind die Ausgangspunkte und bilden die Grundlagen des Lernprozesses.
„Kinder leben und handeln in den verschiedensten Situationen – in der Familie, in der Kindertageseinrichtung, im Wohngebiet, in der Stadt, in der Schule. Bei alledem sind die Kinder in eine gesellschaftliche und kulturelle Realität eingebunden, die ihr Leben maßgeblich beeinflusst.
Preissing Christa/Heller Elke (Hg): Qualität im Situationsansatz)
Eltern sind bewusst eingeladen, das Leben in der Kita aktiv mitzugestalten.
WeiterlesenDer Situationsansatz ist ein Konzept, das sich seit über 30 Jahren durch Weiterentwicklung und Erprobung als Grundlage der pädagogischen Arbeit im Elementarbereich zunehmend etabliert.
Das Konzept hat fünf theoretische Dimensionen, die sich in 16 konzeptionellen Grundsätzen wiederspiegeln.
Theoretische Dimensionen:
- Lebensweltorientierung
- Bildung
- Partizipation
- Gleichheit und Differenz
- Einheit von Inhalt und Form
Die 16 konzeptionellen Grundsätze:
1. Die pädagogische Arbeit geht von den sozialen und kulturellen Lebenssituationen der Kinder und ihrer Familien aus
Die Erfahrungen, die Kinder in ihren Familien, im alltäglichen Zusammenleben in der Kindertageseinrichtung und in weiteren gesellschaftlichen Bereichen machen, und ihre Erlebnisse werden wahrgenommen und analysiert. Dabei geht es sowohl um Situationen, mit denen sich die Kinder selbst aktuell auseinandersetzen, als auch um solche, die für ihr Aufwachsen in der Gesellschaft unerlässlich sind und deshalb von Erwachsenen thematisiert werden. Die Bedürfnisse und Interessen der Kinder, ihre Erfahrungen und Sinndeutungen, ihre Fragen und Antworten stehen dabei im Mittelpunkt.
2. Erzieher*innen finden im kontinuierlichen Diskurs mit Kindern, Eltern und anderen Erwachsenen heraus, was Schlüsselsituationen im Leben der Kinder sind.
Die für Kinder in Gegenwart und Zukunft bedeutsamen Lebenssituationen werden von Erzieherinnen im Team, gemeinsam mit Eltern und anderen Erwachsenen erörtert. Erzieher*innen berücksichtigen dabei das, was die Kinder selbst über ihre Situation auf vielfältige Weise ausdrücken. Aus den in Frage kommenden Lebenssituationen wählen sie jene aus, die im Sinne von Schlüsselsituationen Kindern die Möglichkeit eröffnen, auf exemplarische Weise Situationen zu verstehen, mitzugestalten, zu verändern und dabei für ihre Entwicklung wichtige Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erwerben.
3. Erzieher*innen analysieren, was Kinder können und wissen und was sie erfahren wollen. Sie eröffnen ihnen Zugänge zu neuem Wissen und neuen Erfahrungen, die für ihr Aufwachsen von Bedeutung sind.
Erzieherinnen gestalten eine anregungsreiche Lernkultur, die Neugier und Interesse, Entdeckerlust und Experimentierfreude der Kinder wachhält und vielseitige Wahrnehmungs-und Ausdrucksmöglichkeiten fördert. Sie beobachten die Kinder und erkunden, was sie bewegt. Sie eröffnen den Kindern Lernmöglichkeiten in realen Lebenssituationen innerhalb und außerhalb der Kindertageseinrichtung.
4. Erzieher*innen unterstützen Mädchen und Jungen in ihrer geschlechtsspezifischen Identitätsentwicklung und wenden sich gegen stereotype Rollenzuweisungen und -übernahmen.
Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen/Frauen und Männern werden beachtet und respektiert. Stereotypen Rollenzuweisungen und -übernahmen wird kritisch entgegengetreten. Die Erzieher*innen überprüfen ihr eigenes geschlechtsspezifisches Verhalten und ihre Haltungen gegenüber Jungen und Mädchen. Sie suchen nach Möglichkeiten, geschlechtsspezifische Identifikationsmöglichkeiten zu erweitern.
5. Erzieher*innen unterstützen Kinder, ihre Phantasie und ihre schöpferischen Kräfte im Spiel zu entfalten und sich die Welt in der ihrer Entwicklung gemäßen Weise anzueignen.
Erzieher*innen schaffen Voraussetzungen, damit Kinder sich im Spiel kreativ und phantasievoll mit ihrer Lebenswirklichkeit auseinandersetzen können. Sie nutzen die aufmerksame Beobachtung des Spiels als Möglichkeit, etwas darüber zu erfahren, wie Kinder die Welt interpretieren und was sie bewegt.
6. Erzieher*innen ermöglichen, dass jüngere und ältere Kinder im gemeinsamen Tun ihre vielseitigen Erfahrungen und Kompetenzen aufeinander beziehen und sich dadurch in ihrer Entwicklung gegenseitig stützen können.
Die Kinder bringen unterschiedliche Erfahrungen und Tätigkeitsanreize in die Gruppe ein und lernen so auch ohne Zutun der Erwachsenen mit-und voneinander. Die Erzieherinnen schaffen Voraussetzungen, damit diese Möglichkeiten zur Wirkung kommen. Die spezifischen Bedürfnisse und Entwicklungsaufgaben der jüngeren und älteren Kinder werden erkannt und gezielt berücksichtigt. Gleichzeitig werden Bedingungen geschaffen, die den Kindern die Chance bieten, ihre Beziehungen zu Gleichaltrigen zu gestalten.
7. Erzieher*innen unterstützen Kinder in ihrer Selbständigkeitsentwicklung, indem sie ihnen ermöglichen, das Leben in der Kindertageseinrichtung aktiv mit zu gestalten.
Kinder lernen Beteiligung nur, indem sie sich beteiligen. Erzieher*innen bestärken jedes Kind, sein Leben selbstbestimmt zu gestalten und sich verantwortlich am Leben in der Kindergemeinschaft zu beteiligen. Sie planen mit den Kindern. Was Kinder selbst tun können, wird ihnen zugetraut und übergeben.
8. Im täglichen Zusammenleben findet eine bewusste Auseinandersetzung mit Werten und Normen statt. Regeln werden gemeinsam mit Kindern vereinbart.
Kinder erfahren in konkreten Lebenssituationen, was im Zusammenleben wichtig ist und warum das so ist. Die Auseinandersetzung mit Werten und der Umgang mit Konflikten haben im Alltag der Kindertageseinrichtung einen hohen Stellenwert. Kinder können die Sinnhaftigkeit und Gültigkeit von Regeln und Normen in konkreten Situationen erfahren und überprüfen. Sie erleben, dass Regeln gemacht und deshalb veränderbar sind.
9. Die Arbeit in der Kindertageseinrichtung orientiert sich an Anforderungen und Chancen einer Gesellschaft, die durch verschiedene Kulturen geprägt ist.
Erzieher*innen erkennen und nutzen die besonderen Bildungschancen, die das Zusammenleben von Kindern verschiedener sozialer und kultureller Herkunft bietet, und fördern das Miteinander. Sie treten aktiv gegen Diskriminierung und Vorurteilsbildung ein und schaffen in der Kindertageseinrichtung eine Kultur des wechselseitigen Respekts und entwickeln Zivilcourage. Die pädagogische Arbeit berücksichtigt, dass die heranwachsende Generation in höherem Maße als bisher mit vielfältigen Lebensformen und Kulturen leben und arbeiten wird.
10. Die Kindertageseinrichtung integriert Kinder mit Behinderungen, unterschiedlichen Entwicklungsvoraussetzungen und Förderbedarf und wendet sich gegen Ausgrenzung.
Das Zusammenleben von Kindern unterschiedlicher Entwicklungs-und Leistungsvoraussetzungen und individueller Eigenarten bietet eine Vielfalt sozialer Erfahrungsmöglichkeiten, die als Bereicherung wahrgenommen und zum Tragen gebracht werden. Die Kindertageseinrichtung reagiert gezielt auf diese Unterschiede und gewährleistet Förderung für Kinder mit Behinderungen auch durch den Einsatz von dafür qualifiziertem Personal. Sie fördert den Kontakt und das Verständnis der Kinder untereinander und bietet besondere Hilfen zur Bewältigung und zum Ausgleich erfahrener Beeinträchtigungen und Benachteiligungen.
11. Räume und ihre Gestaltung stimulieren das eigenaktive und kreative Tun der Kinder in einem anregungsreichen Milieu.
Erzieher*innen gestalten mit Kindern Räume, in denen sich die Vielfalt der sozialen, kulturellen und historischen Welt widerspiegelt. Sie entwickeln die Räume als Forschungs-und Experimentierfelder, in denen sich die jüngeren und älteren Kinder gemeinsam und individuell mit allen Sinnen vielseitige Kenntnisse und Erfahrungen aneignen können. Die Räume und des Außengeländes bieten ausreichend Gelegenheit für Bewegung und Rückzug sowie zur Begegnung mit der Natur.
12. Erzieher*innen sind Lehrende und Lernende zugleich.
Erzieher*innen reflektieren ihre Rolle sowie ihr pädagogisches Handeln und setzen sich mit gesellschaftlichen Entwicklungen auseinander. Sie prüfen ihr Verständnis von kindlicher Entwicklung und Erziehung und eignen sich neue Erkenntnisse und Erfahrungen an, die sie für eine entwicklungsangemessene und individuelle Förderung der Kinder nutzen. Sie beziehen außenstehende Expertinnen und Experten ein, von denen Kinder wie Erwachsene Neues lernen können, und die damit zur Unterstützung und Entlastung beitragen können. Erzieher*innen lernen von den Kindern, von ihrer Sicht der Dinge, ihrer eigensinnigen Art, sich die Welt zu erschließen. Sie ermöglichen Lernprozesse und haben selbst daran teil.
13. Eltern und Erzieher*innen sind Partner in der Betreuung, Bildung und Erziehung der Kinder.
Die Erfahrungen von Eltern und das pädagogische Fachwissen der Erzieher*innen werden miteinander verbunden. Eltern sind an Entscheidungen in wesentlichen Angelegenheiten der Kindertageseinrichtung beteiligt. Erzieher*innen machen ihre Arbeit transparent und sind offen für Ansprüche und Anregungen von Eltern. Sie fördern die Mitwirkung von Eltern, ermutigen sie zu Vorschlägen und Kritik und suchen gemeinsam mit ihnen nach Möglichkeiten für Veränderungen.
14. Die Kindertageseinrichtung entwickelt enge Beziehungen zum sozial-räumlichen Umfeld.
Die Kindertageseinrichtung versteht sich als aktiver Teil der sozialen Infrastruktur des Gemeinwesens. Sie sucht den Kontakt zu anderen pädagogischen und sozialen Einrichtungen, zu Vereinen, Orten und Personen des kulturellen und wirtschaftlichen Lebens, und vernetzt sich mit ihnen. Sie ist ein Zentrum nachbarschaftlicher Kontakte und Begegnungen. Sie wirkt in die örtliche Politik und beteiligt sich an der Stadt-und Jugendhilfeplanung im Gemeinwesen. Öffnung nach außen verstehen Erzieher*innen als Verpflichtung, das Gemeinwesen als Lernort zu nutzen und mit Kindern aktiv an der Gestaltung des Gemeinwesens mitzuwirken. Sie stellen eine lokale Öffentlichkeit für die Belange von Kindern her.
15. Die pädagogische Arbeit beruht auf Situationsanalysen und folgt einer prozesshaften Planung. Sie wird fortlaufend dokumentiert.
Ausgangspunkt für jegliches pädagogische Handeln sind Situationsanalysen. Die Planung pädagogischer Praxis wird gemeinsam mit Kindern, Eltern und anderen Erwachsenen entwickelt und ist flexibel. Sie umfasst unterschiedlich weite Zeiträume, lässt Raum für die Spontaneität der Kinder, für individuelle Entwicklungstempi und Leistungsvoraussetzungen, aber auch für unvorhergesehene Einflüsse von außen. Sie beinhaltet differenzierte Tätigkeiten für einzelne Kinder, Kleingruppen und für Kinder mit besonderen Bedürfnissen. Durchgängige Prinzipien geplanter pädagogischer Prozesse sind:
- Erkunden = Situationen analysieren und Schlüsselsituationen auswählen
- Entscheiden = Ziele vor dem Hintergrund des Leitbildes und der Situationsanalyse formulieren
- Handeln = ausgewählte Schlüsselsituationen bearbeiten und gestalten
- Nachdenken = Erfahrungen auswerten, fortlaufend dokumentieren und weitere Schritte festlegen
16. Die Kindertageseinrichtung ist eine lernende Organisation.
Die internen Organisationsstrukturen der Kindertageseinrichtung ermöglichen die Umsetzung der Grundorientierung, der konzeptionellen Ziele und der pädagogischen Aufgaben.
Erzieher*innen verstehen sich als Mitglied eines Teams, in dem jeder spezifische Aufgaben übernimmt und sich mitverantwortlich fühlt für das Ganze. Es gibt Raum und Zeit, um die institutionellen und organisatorischen Gegebenheiten selbst zum Gegenstand von Reflexion und Veränderung zu machen. Erzieher*innen entwickeln unter Beteiligung von Eltern und anderen Experten Strategien zur weiteren Profilierung der Kindertageseinrichtung und reagieren auf veränderten Bedarf mit erweiterten und flexiblen Angeboten. Veränderungen werden als Chance gesehen.